Gesundheit & Krankheit(6)
„Unsere Studie sollte Patienten und Ärzte beruhigen bezüglich der Machbarkeit einer vegetarisch-veganen Ernährung in der Schwangerschaft…, vorausgesetzt, dass der ausreichenden Aufnahme von Mikronährstoffen genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird“, so Doktor Giorgina Piccoli von der Universität Turin.
Gemeinsam mit ihrem zwölfköpfigen Medizinerteam nahm sie 262 Volltexte von Studien nach 2329 Literaturhinweisen sowie 22 weitere ausgewählte Dokumente unter die Lupe[1].
Die ausgewerteten Studien untersuchten Schwangerschaften gesunder Frauen mit freiwillig gewählter veganer oder vegetarischer Ernährung.
Keine der untersuchten Arbeiten berichtet von einem
Anstieg negativer Auswirkungen oder Behinderungen. Mit einer Ausnahme: Eine
Studie aus dem Jahr 2000 berichtet von einer erhöhten Rate von Hypospadie (angeborene
Fehlmündung der Harnröhre) bei den männlichen Babys vegetarischer Mütter[2]. Eine
ähnliche Häufigkeit von Hypospadie findet diese Studie auch bei Eisenmangel
während der Schwangerschaft und bei durchgemachter Influenza (Inkektion durch den Grippevirus) im ersten
Schwangerschaftsdrittel. Die Autoren der Studie vermuteten damals einen Zusammenhang bei Vegetarierinnen mit der erhöhten Aufnahme
von Phyto-Östrogenen (z.B.Soja-Flavonoide) aus der Nahrung. Einen Zusammenhang mit Hypospadie und
vegetarischer Ernährung geschweige denn veganer Ernährung in der
Schwangerschaft konnte seither in keiner Studie noch einmal beobachtet werden. Eine
mögliche Auswirkung von Phyto-Östrogenen auf die Schwangerschaft steht natürlich
ebenso noch zur Diskussion wie die
Auswirkung endokrin aktiver Substanzen (EAS) aus Kunststoffverpackungen von Lebensmitteln.
Fünf Studien fanden durchschnittlich niedrigere
Geburtsgewichte, in zwei Studien dagegen fanden sich höher Geburtsgewichte bei
veganen Müttern. Sechs Studien befassten sich mit der Schwangerschaftsdauer und
konnten keine signifikanten Unterschiede finden zwischen veganen und
omnivorischen Müttern.
Neun unterschiedliche Studien zu Spurenelementen und
Vitaminen legten nahe, dass bei veganen Schwangerschaften die Gefahr eines
Eisenmangels und eines Vitamin- B12-Mangels erhöht ist.
Vegane Mütter können ein erhöhtes Risiko für Eisen- und
Vitamin-B12-Mangel haben
„Bei der Interpretation der Gesamtergebnisse lässt sich
sagen, dass wenn eine vegane Ernährung bewusst gewählt wurde und nicht aus
einem Mangel an Nahrung oder aus Armut resultiert, dann sind die Ergebnisse veganer
Schwangerschaften ähnlich zu denen omnivorischer Mütter“, so Piccoli. „Unsere
Ergebnisse decken sich mit denen der American Dietetic Associacion, die eine gut geplante vegane
Ernährung in jedem Lebensabschnitt für geeignet hält.“
Gleichzeitig weist Piccoli darauf hin, dass die
internationale Datenlage noch dünn und weiterer Forschungsbedarf gegeben ist.
In der Zukunft sollte die Forschung die Bedeutung von Ernergiezufuhr, Protein,
Spurenelemente, Eisen, Calcium und Vitamin D insbesondere im ersten und letzten
Schwangerschaftsdrittel intensiver untersuchen.
Aus der derzeitigen Studienlage geht bisher nur ein
vermutlich erhöhtes Risiko für Eisen- und Vitamin B12-Mangel hervor und somit
eine Empfehlung zur Kontrolle und gegebenenfalls Supplementierung hervor, so
die Empfehlung von Piccoli.
Eine aussagekräftige Untersuchung des Vitamin B12-Status erfordert die Bestimmung von Holo-Transcobalamin. Aus meiner veganen Ernährungsberatungspraxis in der
Schwangerschaftsvorsorge möchte ich die ausgesprochenen Empfehlungen noch ergänzen. Die Ernährungsberatung in der Schwangerschaftsvorsorge
fokussiert fünf Substanzen von besonderer Bedeutung für eine gesunde Entwicklung des ungeborenen Kindes.
Diese sind
Wichtig für Mutter und Kind sind auch Folsäure, Jod,
Vitamin D und DHA (Docosahexaensäure)
Vitamin D und DHA (Docosahexaensäure)
1. Eisen als Sauerstofftransporter im Blutfarbstoff ist
wichtig für alle Bereiche in allen Phasen der vorgeburtlichen Entwicklung. Für
Eisen gilt: Der Ferritinspiegel gibt Aufschluss über den Versorgungsstatus. Nehmen sie
Eisenpräparate nur auf ärztliche Verordnung hin ein!
2. Eine ausreichende Folsäurezufuhr ist essentiell für
eine regelrechte Entwicklung des kindlichen Nervensystems, des Herzens und einen
komplikationsfreien Schwangerschaftsverlauf. Das gilt bereits ab frühester
Schwangerschaft, denn das für Missbildungen besonders empfindliche Neuralrohr
(Teil der Wirbelsäulenanlage) schließt sich bereits zwischen dem 22. und 28.
Schwangerschaftstag! Bei Kinderwunsch sollte bereits drei Monate vor einer
möglichen Konzeption mit einer Folsäureergänzung begonnen werden, wenn die
Nahrung folsäurearm ist. Eine tägliche Zufuhr von 800 Mikrogramm als
Nahrungsergänzung wird dann empfohlen. Viele Frauen können auf Grund einer
genetisch bedingten Stoffwechselbesonderheit die synthetische Folsäure aus
Tabletten oder anderen Zubereitungen nicht effektiv nutzen.Sprechen sie ihren Frauenarzt/ärztin darauf an.
Bei veganer Vollwerternährung ist ein Folsäuremangel eher
unwahrscheinlich. Aber Vorsicht: Folsäure ist licht- und hitzeempfindlich und
leicht zu oxidieren. Nur in Form von Rohkost ist die Zufuhr effektiv! Besonders
reich an Folsäure sind Weizenkeime, Hefeflocken, Linsen, Kohlsorten, Broccoli, Rote
Beete, Blattspinat, Blattgemüse und auch viele Obstsorten. Die vor und während
der Schwangerschaft empfohlene Aufnahme mit der Nahrung beträgt in Deutschland 550 Mikrogramm Folsäureäquivalente täglich.
3. Der Jodbedarf ist in der Schwangerschaft erhöht. Ein
Jodmangel vermindert bereits die Fruchtbarkeit, so dass ein unerfüllter Kinderwunsch
u.a. auch auf einem Jodmangel beruhen könnte. Auch für die vorgeburtliche Entwicklung
von Nerven-, Skelett- und Organsystem ist
Jod ebenso essentiell wie für einen komplikationsfreien Schwangerschaftsverlauf
. Durch den verbreiteten Gebrauch von Jodsalz im Haushalt so wie in der Nahrungsmittelproduktion sollten
kaum Joddefizite in der Bevölkerung vorkommen. Neueste Meldungen aus der
Wissenschaft, welche die Jodausscheidung im Urin als Maß für eine ausreichende
Versorgung heranziehen, unterstellen eine immer noch unzureichende Jodversorgung
der Bevölkerung. Die Jodquellen von Veganern sind neben Meersalz (geringer
Jodgehalt), jodiertem Bio-Jodsalz (ohne Riesel-Hilfsstoffe!) vor allem Algen,
welche extrem unterschiedlich hohe Jodgehalte aufweisen. Lassen sie sich
hierüber von einem Ernährungsmediziner(in),
Ernährungsberater(in) oder Oecotrophologen(in) beraten. In
Übereinstimmung mit Professor Elsner gehe ich von einer ausreichenden
Jodversorgung bei normalem TSH-Spiegel aus. Ob das auch für die Schwangerschaft gilt, kann ich allerdings nicht belegen. 100 bis 150 µg Jod pro Tag gelten als ausreichend in der
Schwangerschaft und Stillzeit in Deutschland.
4. DHA (Docosahexaensäure) ist der Grundbaustein von
Schutz- und Botenstoffen im Nervensystem und wird benötigt für die Steuerung
des Immunsystems. Für eine gesunde Kindesentwicklung ist DHA von größter
Wichtigkeit und kann von der Leber nur dann gebildet werden, wenn Alpha-Linolensäure
als Grundbaustein zur Verfügung steht. Besonders reich an Alpha-Linolensäure
sind kaltgepresstes Chia-, Lein- und Hanföl bzw. auch die Saaten, aus denen
diese Öle gepresst werden. Nach biochemischer Lehrmeinung reicht die von der
Leber gebildete Menge von DHA nicht aus. Ein vermehrter Verzehr von
Kaltwassermeeresfisch kommt für Veganer ohnehin nicht in Frage und kann
omnivorischen Schwangeren auf Grund der Belastung mit Methylquecksilber, Arsen
und dioxinähnlichen Verbindungen nicht empfohlen werden. Man kann langkettige
Fettsäuren im Blut quantitativ bestimmen und gegebenenfalls ergänzen, z.B. mit „Omega-3-vegan“
der Firma Loges. Die Empfehlung in Deutschland lautet: Ab der 13.
Schwangerschaftswoche 200 mg DHA/EPA zusätzlich täglich zur Basiszufuhr von 250
mg, also täglich insgesamt 450 mg DHA/EPA zuführen. Besprechen sie dies mit
ihrem Arzt oder ihrer Hebamme.
5. Vitamin D. Bei unzureichender Sonnenlichtexposition
lautet die Empfehlung in Deutschland: Täglich 20 Mikrogramm (800 I.E.) Vitamin D während
der gesamten Schwangerschaft und Stillzeit einnehmen. Als Maß zur Beurteilung gilt
der Blutspiegel von 25-OH-Vitamin-D. Eine vegane Nahrungsergänzung ist z.B. „Vitamin
D2 vegan“ von Dr. Wolz.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bereits bei
Kinderwunsch sowie während Schwangerschaft und Stillzeit ein besonderes
Augenmerk gelegt werden muss auf die ausreichende Zufuhr von Vitamin B12, Folsäure,
Eisen, Jod, Omega-3-Fettsäuren und bei Sonnenlichtmangel auch Vitamin D. Aber sollten VeganerInnen das nicht sowieso tun?
Quellen:
[1] Piccoli GB et al.:Vegan-vegetarian diets in pregnancy: Danger or panacea? A systematic narrative review. BJOG 2015;122:623–633.
[2] North K, Golding J: A
maternal vegetarian diet in pregnancy is associated with hypospadias.The ALSPAC Study Team. Avon Longitudinal Study of Pregnancy and
Childhood.BJU Int. 2000 Jan;85(1):107-13.
Foto:pixabay.com
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